Kolumne 1


Liebe Schachfreunde,

um unser Therwiler Info-Blatt ein wenig zu bereichern, bin ich gerne bereit, in lockerer Folge historische Rückblicke aus der für uns alle faszinierenden Schachwelt zusammenzutragen. Auf Euer Echo freue ich mich. Nun zu meiner ersten "Kolumne":

Wann wurde der Titel Grossmeister aus der Taufe gehoben ?

Im Jahre 1914 übernahm der russische Zar Nikolaus II. die Schirmherrschaft über ein grosses Schachturnier, das die St. Petersburger Schachgesellschaft ausrichtete. Zar Nikolaus selbst zeichnete 1000 Rubel als Beitrag zum Preisfonds. Das mag einer der Gründe gewesen sein, die den Schachweltmeister Emanuel Lasker zur Teilnahme bewogen - zu seinem ersten Erscheinen auf der Turnierbühne seit 1909. In St Petersburg versammelten sich die bedeutendsten Spieler jener Zeit. Zu ihnen gehörte Jose Raul Capablanca aus Kuba, der erst wenige Jahre zuvor seinen spektakulären Einzug in die internationale Schacharena gehalten hatte, als er 1911 das Turnier von San Sebastian gewann. Auch Akiba Rubinstein war da - der Endspielkünstler, der stille Mann aus dem polnischen Ghetto, der fünf Turniere hintereinander gewonnen hatte und den viele für den stärksten Spieler der Welt hielten. Aus Amerika kam Frank Marshall, der unverwüstliche Verfechter der romantischen Spielweise einer vergangenen Epoche. Es kamen der deutsche Lehrmeister Siegbert Tarrasch, der in Dänemark lebende gebürtige Lette Aaron Nimzowitsch - einer der führenden Avantgardisten seiner Zeit - der gefürchtete englische Angriffspieler Joseph Henry Blackburne und schliesslich die alten Hasen David Janowsky aus Frankreich und Isidor Gunsberg aus England. Ossip Bernstein und der junge Alexander Aljechin, beide aus Russland, verteidigten die Ehre des Gastgeberlandes.

Lasker gewann mit einem halben Punkt Vorsprung vor Capablanca. Der Kubaner führte bis nach der siebzehnten von einundzwanzig Runden. Doch dann verlor er gegen Lasker, und das demoralisierte ihn. In der neunzehnten Runde vergab er eine gewonnene Stellung gegen Tarrasch und fiel dadurch auf den zweiten Platz zurück. Den dritten Platz erkämpfte überraschend Aljechin, gefolgt von Tarrasch und Marshall. Beim Abschlussbankett erklärte der Zar diese fünf Spieler zu "Schachgrossmeistern". Lasker, Capablanca, Aljechin,Tarrasch und Marshall -die ersten Grossmeister der Schachgeschichte.

Anmerkung: Schon kurz vor der Jahrhundertwende scheint der Ausdruck gelegentlich benutzt worden zu sein, und nach St Petersburg 1914 nannte man die Weltelite stets Grossmeister - aber den Spitzenspielern früherer Jahrzehnte war dieser Titel gänzlich unbekannt. Sie galten schlicht als Meister. Heute würden wir natürlich auch die damaligen Titanen wie Wilhelm Steinitz und Paul Morphy als Grossmeister bezeichnen, denn das waren sie nach jedem Kriterium, sie waren die besten ihrer Zeit. Das gleiche könnte man auch von Ar-Razi sagen, den wahrscheinlich die wenigsten von Euch kennen, dem begabten persischen Figurenkünstler, der 847 n.Chr. den grossen AI-Adli besiegte, am prunkvollen Hofe des Kalifen AI-Mutawakkil unter den Augen des Beherrschers der Gläubigen.

So, das war's für's Erste... Wolfgang

         

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